Angespannt verfolgte ich das Geschehen auf meinem Smartphone, als ob der gefesselte Soldat im Film mein bester Freund wäre. Der einzige Unterschied zwischen uns bestand darin, dass er an den Folterstuhl und ich ans Smartphone gefesselt war. Plötzlich kam unverhofft die Wendung. Ich entspannte mich. Das war ja gerade nochmal gut ausgegangen. Seit zwei Stunden hatte ich mir eingeredet, dass ich an diesem bestimmten Punkt aufhören würde. Dieser Zeitpunkt war nun erreicht. Ich war kurz davor, das Handy auszuschalten … als «urplötzlich» schon wieder etwas geschah, was mich so verärgerte, dass ich unmöglich ins Bett gehen konnte. Ich schaute auf meine Uhr. War es wirklich schon so spät? Welcher Wochentag war eigentlich? Und hatte ich noch Hausaufgaben zu erledigen? Ich war völlig orientierungslos und voller Schuldgefühle. Der einfachste Weg, alle Sorgen in diesem Moment zu vergessen, war vor mir liegend, lediglich ein Klick entfernt. Ein Weg, sich mit fiktiven Sorgen anderer abzulenken, um nicht an die eigenen denken zu müssen.
Aus schlechtem Gewissen entschied ich mich schliesslich für einen Kompromiss. «Nur noch zehn Minuten, dann kündige ich das Abo. Den Schlafmangel würde ich morgen mit Kaffee kompensieren müssen», redete ich mir ein. Es war nochmals weit über eine Stunde später, als die Serie zu Ende ging. Der Soldat war gerettet. Wie ging die Geschichte weiter? War es nicht möglich, diese böse Frau aus der Welt zu schaffen? Schon wieder ärgerte ich mich und ich realisierte, wie mit meinen Emotionen gespielt wurde.
Es war kein schöner Moment, als mich der Wecker am nächsten Morgen aus dem Tiefschlaf riss. Sofort musste ich an den vorigen Abend zurückdenken. Nichts war noch von den glücklichen Gefühlen der letzten Stunden übrig.
Meine Kollegen würden diese Stunden ganz anders beurteilen. Ihnen zufolge konnte man die Serie ja im Moment geniessen; das schlechte Gewissen war bei ihnen schon gar nicht mehr vorhanden.
Nun hatte ich die Welt, in der sich meine Kollegen oft aufhalten, auch erlebt. Eine Welt, in der man seine Sorgen vergessen kann … solange man sich in ihr befindet. Sobald man das Handy ausschaltet, findet man sich abermals in der kalten Realität wieder. Ebenfalls beobachte ich, dass Menschen, die sich über Jahre hinweg Schrott in Filmform zuführen, schlussendlich unzufrieden werden, weil sie sich tausende von Stunden nach diesen Dingen sehnen, sie aber nie bekommen, weil sie nur auf dem Sofa liegen und zuschauen, statt im realen Leben etwas dafür zu tun.
Das Rückflugticket habe ich noch am selben Tag gebucht. Ich habe das Probeabo gekündigt. Als Konsequenz dieses Abends fehlte mir die ganze Woche die Zeit. Ich denke, dass die sorgfältig versteckten Ideologien in diesen «Ersatz-Predigten» uns Albträume bereiten würden, wenn wir sie schwarz auf weiss sehen könnten. Wie wollen wir kontrollieren, was wir uns reinziehen, wenn wir nicht einmal merken, «in welcher Welt wir uns aufhalten»? Denn wie viele Filme hast du gesehen, in denen Enthaltsamkeit, nicht ausgelebte Homosexualität oder die christliche Religion als etwas Gutes dargestellt wurde?
Zum Schluss noch ein paar Fragen:
Was sind Sehnsüchte von dir, die in Filmen aufgegriffen werden? Werden sie auf die lange Sicht gestillt, oder nur noch grösser?
Was sind meine Ausreden, mit denen ich rechtfertige, mich vor der Wirklichkeit zu drücken? Sensibilisiere dich auf deine Ausreden, indem du eine Liste mit deinen besten Ausreden anfertigst! Du wirst sie in solchen Momenten wiederfinden.
Die beste Methode, die Fesseln zwischen mir und dem Smartphone zu trennen ist, sie mir gar nicht erst anlegen zu lassen. Wenn ich sie anziehe, ist das im Vergleich zu diesem Soldaten ein aktiver Entscheid, mich in Gefangenschaft von Weltanschauungen zu begeben, die mir im wirklichen Leben schaden.