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Meine Jagd nach einem guten Gefühl

Die Jagd nach einem guten Gefühl beginnt schon früh am Morgen. Zu einer Tageszeit, an der dem Wecker die unliebsame Aufgabe zukommt, mich aus dem Schlaf ins Leben zu erwecken. Er reisst mich aus dem ohnehin schon knapp bemessenen Schlaf und bringt mich wieder auf den Boden der Realität des vorigen Tages zurück. Nach und nach taut mein Hirn auf. Immer mehr frustrierende, enttäuschende Situationen des vorigen Tages erscheinen vor meinem inneren Auge. Die morgige Mathematikprüfung (Schockstarre, immer noch nichts gelernt), der vergeudete letzte Abend (auch eine Gefühlsjagd), der beschämende Kommentar des Kollegen vor der ganzen Klasse, der Streit mit meinem Vater… nicht gerade der wünschenswerte Tagesstart. Um diese Gedanken wenigstens noch einmal für fünf Minuten aufzuschieben, genehmigte ich mir fünf Minuten mehr Schlaf. Diese fühlten sich wie ein Bruchteil einer Sekunde an, als ich schon wieder aus dem Schlaf des Gerechten geweckt wurde. Der Wecker hatte doch noch gar nicht geklingelt? Verwirrt schaute ich mich um, denn es war unangenehm kalt um mich. Die Antwort lag im breit grinsenden Gesicht meines kleinen Bruders, der neben meinem Bett stand und die Decke stolz in den Händen hielt. «Hoi», piepste er frech. In Gedanken sah ich mich schon zwei platzierte Ohrfeigen im Gesicht des Störenfrieds landen. Mein Vorhaben setzte ich in etwas abgemilderter Variante in Form eines Fusstrittes und einer giftigen Bemerkung um.

Missmutig stand ich auf, knurrte etwas von «Morgenessen» und schlurfte zur Küche. Mal abgesehen davon, dass es am Morgen generell nicht zu gut um meine Launen bestellt ist, kam nun auch noch dieser Konflikt dazu. Einen Blick auf die Uhr verriet mir, dass mir keine Zeit mehr für ein Frühstück blieb. Genervt schlüpfte ich in meine Schuhe und verliess eilig das Haus.

Auf dem Schulweg verspürte ich das Bedürfnis, meinen Gefühlszustand mit einem meiner Lieblingssongs zu heben. Ich setzte mir meine Kopfhörer auf und korrigierte den Lautstärkepegel gehörig nach oben. Die basslastige Melodie liess mich innerlich mitsingen und mit der Musik mitgehen. Beschwingt schritt ich den Weg zur Schule hinauf und dachte an die am Vortag erhaltene Bestnote und die entgeisterten Blicke meiner Kollegen beim Erblicken meines Resultats. Was für ein schönes Gefühl!

Durch den Song beflügelt, betrat ich das Klassenzimmer. Doch mein gutes Gefühl hielt nicht lange an. Denn die erste Lektion, die mich erwartete, war ausgerechnet Mathematik, mein Hassfach. Schon bald nachdem der Lehrer einen Exkurs in die Welt der Differentialgleichungen gestartet hatte, war ich mit den Gedanken ganz woanders. Doch plötzlich schreckte ich auf. Ich hatte aus der Richtung des Lehrerpults meinen Namen gehört. Hastig schaute ich von meinen Hausaufgaben für die nächste Lektion auf und sah den Lehrer, der mich erwartungsvoll anschaute. Ich hatte keinen blassen Schimmer, auf welche Frage der Lehrer eine Antwort erwartete. Hilfesuchend wandte ich mich zum Banknachbarn, der sich über mich erbarmte und mir eine Lösung zuflüsterte. Als ich die Lösung nachplapperte, brach der Raum in Lachen aus. Am liebsten wäre ich im Boden versunken. Ich fragte mich inständig, was meine Kollegen wohl über mich denken würden, und verspürte ein flaues Gefühl im Magen.

In der nächsten Lektion besserte sich meine Laune. Ich erinnerte mich an mein gut laufendes Kaffeegeschäft und konnte über eine absurde Antwort des eines Kollegen schmunzeln, während untergründig ständig den Unterricht nach dem Kriterium «fühlt es sich gut an» bewertete. Ich fühlte mich wie ein Gelehrter neben einem Analphabetisten, als mir der falsche Satzbau der laut neben mir schnatternden Kollegin gewahr wurde.

Zu Hause angekommen blickte ich auf einen Tag zurück, an dem ich nicht mal im Ansatz meinen hohen Ansprüchen genügt hatte. Nun hatte ich erst recht hohe Ansprüche, möglichst viel aus dem Abend zu machen. Ich gönnte mir keine Pause und wollte sofort zu arbeiten beginnen. Doch als ich an meinem Schreibtisch sass und in das Biologiebuch starrte, ging es nicht mehr lange, bis ich wieder von einem schlechten Gefühl heimgesucht wurde. Der komplizierte Sachtext über die Genregulation von Eukaryoten rief in mir ein hochgradiges Gefühl von Unkompetenz und dem Gefühl von «Kein Bock» aus, und so ging es nicht lange, bis ich mich auf YouTube wiederfand. Dort konnte ich mein schlechtes Gefühl wenigstens für eine Zeitlang vergessen und bekam ausserdem noch einige Dopaminstösse verpasst.

Das gute Gefühl ist zu meinem Götzen geworden. Und ich befürchte, dass ich nicht der einzige bin, dem dies so geht. Unsere ganze Generation sucht beim guten Gefühl nach Glück. Fühlt sich etwas nicht mehr gut an, müssen sofort die Umstände geändert werden, um wieder das wünschenswerte Gleichgewicht eines ausgelassenen, beflügelten, glückseligen, sorgenfreien Gefühlszustands zu verspüren. Um dieses Gefühl zu erreichen, setzen wir unseren Beziehungen, Gemeinde und Freizeit auf Spiel. Fühle ich mich nicht mehr wohl, muss sofort einen Ort boykottiert, vom Gottesdienstbesuch auf den Live-Stream gewechselt oder Beziehungen aufs Eis gelegt werden. Ich diene dem Götzen der Anerkennung oder versuche durch exzessiven YouTube-Konsum das gute Gefühl wiederherzustellen.

Ich kann dich nur dazu ermutigen, mit mir ins Gebet einzusteigen, dass Gott dir Vertrauen schenkt. Vertrauen, dass er dich versorgen wird. Vielleicht nicht mit einem kurzfristigen guten Gefühl, sondern mit einem langfristigen Frieden, den nur er schenken kann, und der auf die lange Sicht viel befriedigender ist. Wenn du darauf vertraust, dass er dich versorgen wird, musst du dir dieses gute Gefühl nicht mehr krampfhaft selbst holen.

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